Mit der Initiative für Nachhaltigkeitsforschung treibt die SCNAT gemeinsam mit ihren Schwesterinstitutionen die Wissenschaft zur nachhaltigen Entwicklung und zur Agenda 2030 voran. Ein besonderes Augenmerk richtet sie auf die gemeinsame Bearbeitung gesellschaftlich prioritärer Fragen in übergreifenden Konsortien.mehr

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«Thriving Spaces»: Nachhaltigkeit und Raumentwicklung

Thriving Spaces: Sustainability and Spatial Development - Priority themes sustainability research
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Anhand von sechs prioritären Themen legt das «Whitepaper Nachhaltigkeitsforschung» den dringendsten Forschungsbedarf der Schweiz im Hinblick auf die Erfüllung der UNO Nachhaltigkeitsziele dar.


Mobilität, Wohnen und individuelle Entscheidungen haben einen tiefgreifenden Einfluss auf die Landnutzung, sowohl in der Schweiz als auch in anderen Ländern. «Thriving Spaces» oder der Umgang mit unserem Raum beinhaltet die Art und Weise, wie wir unsere Räume wahrnehmen, nutzen, verändern, wiederherstellen und schützen und wie es uns gelingt, unsere Lebensstile und wirtschaftlichen Aktivitäten als Teil eines nachhaltigen Ganzen in Einklang zu bringen. Ein Kurswechsel erfordert die Entwicklung einer gemeinsamen Zukunftsvision und die Inspiration durch Erfolgsmodelle nachhaltiger Nutzung von Landressourcen.

Wichtige ungelöste Fragen

Das hier vorgestellte Konzept von Thriving Spaces ist sehr weit gefasst. Die wesentlichen Elemente dieses Konzepts müssen noch detaillierter ausgearbeitet werden, um eine Grundlage für die öffentliche Debatte, Planung und Politik zu schaffen.

Schlüsselfragen sind:

  • Wie nehmen verschiedene Akteure - darunter Bürgerinnen und Bürger, Planerinnen und Planer sowie politische Entscheidungstragende - den Wert des Raums, in dem sie leben, wahr? Welche Rolle spielt die ästhetische Dimension in dieser Hinsicht?
  • Wie können wir Räume mit Wohlbefinden in Verbindung bringen, und welche Bedeutungen und Narrative hat Wohlbefinden im Zusammenhang mit «Thriving Spaces»?
  • Welches sind gemeinsame Visionen von «Thriving Spaces» und wie berücksichtigen sie das Anliegen einer nachhaltigen Entwicklung und der Agenda 2030 sowie die Notwendigkeit, die natürliche Vielfalt und die damit verbundenen natürlichen Ressourcen zu erhalten?

In der Schweiz soll das Raumplanungsgesetz des Bundes die Siedlungsentwicklung nach innen fördern, unter anderem durch eine bessere Nutzung leerstehender Flächen, eine höhere Verdichtung und die Schaffung attraktiver städtischer Grünräume und Wasserflächen. Dennoch ist der Flächenverbrauch durch die Zersiedelung nach wie vor hoch (0,69 m2 pro Sekunde in der Schweiz ), was zu einem anhaltenden Verlust an Grünflächen und der Artenvielfalt führt. Insbesondere fehlt es an wirksamen Instrumenten, die die Qualität der Landschaften ausserhalb der Siedlungsgebiete anerkennen und schützen. Zudem muss sich die Raumentwicklung auch mit sozialen Gräben auseinandersetzen, z.B. mit den Folgen der Gentrifizierung. Zur Diskussion stehen also Themen rund um soziale Vielfalt, Lebensqualität, nachhaltige Lebensräume und Raumentwicklung.

Daraus ergeben sich die folgenden Fragen:

  • Was sind geeignete, sozial integrative Strategien, Konzepte und Instrumente, um Verdichtung und Innenentwicklung anzugehen, unbebaute Flächen zu schützen und aufzuwerten, eine angemessene biologische Vielfalt zu gewährleisten und notwendige Ökosystemleistungen zu sichern?
  • Wie kann die Lebensqualität in städtischen Gebieten und anderen Lebensräumen für alle, insbesondere für sozial Benachteiligte, verbessert werden?
  • Wie können die Instrumente der Raumplanung in den Dienst des Klimaschutzes und der Anpassung an den Klimawandel gestellt werden?

Rasche demografische Veränderungen, ausgelöst beispielsweise durch Zuwanderung oder industriellen Rückgang, können zu Wirtschaftskrisen und sozialen und politischen Unruhen führen. In der Schweiz zeigen neuere Untersuchungen zwar, dass die sprachlichen Gräben kleiner werden. Der sprachbedingte Röstigraben weicht allerdings neuen regionalen Gräben zwischen Städten und Agglomerationen einerseits und kleineren ländlichen Gemeinden andererseits. In der Folge nehmen die sozialen Ungleichheiten zwischen und innerhalb von Regionen zu. Insgesamt haben räumlich bedingte Spannungen, wie die Kluft zwischen Stadt und Land, in den letzten Jahren zugenommen und müssen besser verstanden werden. Unterschiede im Problembewusstsein und andere Ursachen, die oft mit sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Möglichkeiten (oder deren Fehlen) zusammenhängen, müssen angegangen werden. Wir sollten insbesondere berücksichtigen, wie globale Herausforderungen wie Migration und industrielle Umstrukturierung mit diesen lokalen politischen Spaltungen zusammenhängen. Zu den Schlüsselfragen gehören:

  • Was sind die Triebkräfte und sozialen Folgen des Stadt-Land-Grabens? Welche Rolle spielen Globalisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel usw., und wer sind die "Gewinnerinnen und Gewinner" und "Verliererinnen und Verlierer"? Wie manifestiert sich soziale Ungleichheit räumlich und welche Auswirkungen hat sie auf die Vision von «Thriving Spaces»?
  • Wie können wir bessere Verbindungen zwischen städtischen/ Kern- und ländlichen/ peripheren Räumen herstellen? Wie könnten nachhaltige Partnerschaften zwischen Stadt und Land bzw. Kern und Peripherie aussehen?
  • Wie können wir diese Probleme lösen, ohne die natürlichen Ressourcen zu erschöpfen?

Die heutigen Lebensstile führen zu übermässigem Konsum und Ressourcenverbrauch, sowohl in der Schweiz als auch im Ausland. Der hohe Ressourcenverbrauch und die Mobilität beanspruchen immer mehr Land und verursachen Umweltverschmutzung und Treibhausgasemissionen. Wir müssen verstehen, wie wir trotz struktureller Zwänge und starker öffentlicher Nachfrage nach Mobilität nachhaltigere Lebensstile fördern können. Zur erhöhten Mobilität hat auch die Entwicklung unserer Volkswirtschaften beigetragen (Tertiarisierung, Industriestandorte, Arbeitsmodelle usw.). Individuelles Verhalten und Anreize (Infrastruktur, kostengünstige fossile Brennstoffe, Subventionen usw.) haben sie weiter gefördert. Um diese komplexen Rahmenbedingungen zu verändern, sind neue Lösungen erforderlich.

Konkrete Fragen:

  • Was sind die Hauptursachen für nicht-nachhaltige Lebensstile? Was sind die zugrundeliegenden einschränkenden institutionellen, politischen und strukturellen Arrangements? Wie können allgemein akzeptierte nachhaltige Lebensstile gefördert werden?
  • Wie sehen neue Visionen für Gemeinschaften aus, welche Wohlbefinden und die Erfüllung grundlegender Bedürfnisse ermöglichen (z. B. die "15-Minuten-Stadt", in der alle notwendigen Funktionen wie Arbeit, Einkaufen, Freizeit usw. zu Fuss oder mit dem Fahrrad erreichbar sind)?
  • Können solche Visionen unsere Vorstellungen der Entwicklung städtischer und stadtnaher Räume ergänzen oder gar ersetzen? Was können wir aus der COVID-19-Krise lernen, um Mobilität auf nachhaltige Weise neu zu konzipieren?
  • Wird die Digitalisierung (z. B. Telearbeit, integrierte Mobilitätsdienste, Industrie 4.0) zu einem weiteren Flächenverbrauch führen oder wird die räumliche Nähe im Kontext einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft eine neue Rolle spielen?

Viele Aspekte der Raumentwicklung sind mit nicht internalisierten (z.B. ökologischen) Kosten verbunden. Manchmal führen politische Massnahmen wie Subventionen zu solchen Kosten. Beispiele sind der Einsatz von Pestiziden, die sich in Oberflächen- und Grundwasser ausbreiten, oder Verkehrssysteme, die Lärm und Schadstoffemissionen verursachen. Die Internalisierung externer Kosten und die Schaffung von Anreizen mit positiver Wirkung auf Ökosysteme sind deshalb ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Road-pricing, CO2-Steuern und Direktzahlungen scheinen ein grosses Potenzial zu haben. Auch neue Ansätze wie die "Sharing Society" oder die Kreislaufwirtschaft sollten in Betracht gezogen und in Bezug auf die Verringerung externer Kosten geprüft werden.

Die Fragen umfassen:

  • Welche externen Kosten, auch im Ausland, entstehen durch unsere wirtschaftlichen und privaten Aktivitäten im Zusammenhang mit der Nutzung des Raumes, insbesondere für Ökosysteme, ihre Vielfalt und die von ihnen erbrachten Ökosystemleistungen?
  • Welche Rahmenbedingungen sind erforderlich, um Kostentransparenz zu schaffen und externe Kosten im Zusammenhang mit der Nutzung von Land und Raum durch verschiedene Akteure zu internalisieren? Welche Anreize haben das Potenzial, ökologischen Nutzen zu schaffen?
  • Wie kann die Internalisierung externer Kosten politisch umgesetzt werden, z.B. Road Pricing im Bereich der Mobilität?

Es wird prognostiziert, dass die bebauten Gebiete in der Schweiz in Zukunft häufiger unter extremen Wetterereignissen wie Hitzewellen und Starkniederschlägen leiden werden. Eine nachhaltige Stadtentwicklung sollte also einerseits Massnahmen beinhalten, die die Anpassung an diese Auswirkungen des Klimawandels ermöglichen. Andererseits müssen weitere Massnahmen zum Klimaschutz ergriffen werden, um die ökologische Resilienz zu erhöhen. Zu diesen Massnahmen gehören die Verringerung der CO2-Emissionen und die Stärkung der Ökosysteme in städtischen Gebieten durch die Erhöhung ihrer biologischen Vielfalt. Grünflächen, Gewässer sowie eine intelligente Stadtgestaltung werden der Schlüssel sein, um solche Gebiete lebenswert zu halten.

Wichtige Fragen sind:

  • Wie können bebaute Gebiete in Anlehnung an ihre natürliche Umgebung und Landschaft entwickelt werden, um sich an den Klimawandel anzupassen und den Klimaschutz zu unterstützen?
  • Wie kann die Raumentwicklung unterstützt werden durch den Dialog zwischen akademischen und nichtakademischen Expertinnen und Experten mit unterschiedlichen Perspektiven auf die Auswirkungen des Klimawandels?
  • Was sind Konzepte der Resilienz für Thriving Spaces, die eine Anpassung an den Klimawandel ermöglichen?

Massnahmen für eine nachhaltige Stadtentwicklung zu ergreifen ist keine einfache Aufgabe. Es müssen neue Governance- und Planungsansätze entwickelt werden, die in der Lage sind, Interessenkonflikte zu erkennen und zu lösen. Bürgerinnen und Bürger müssen proaktiv in diese Prozesse einbezogen werden und an der Entscheidungsfindung beteiligt sein. Eine solche Beteiligung könnte das Bewusstsein dafür schärfen, wie menschliche Aktivitäten von der Natur abhängig sind und diese auch beeinflussen. Darüber hinaus müssen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis - darunter so unterschiedliche Bereiche wie Stadtplanung, Architektur, Politikwissenschaft, Biologie, Geographie usw. - in entsprechende Partnerschaften eingebunden werden. Sie müssen Entscheidungstragenden sowie Bürgerinnen und Bürgern dabei helfen, die komplexe Natur und die Beziehungen zwischen den verschiedenen Themen im Zusammenhang mit Thriving Spaces zu verstehen. Darüber hinaus könnten solche Ansätze auch dazu beitragen, ein gemeinsames Verständnis für die Bedeutung und Relevanz eines transformativen Wandels für jeden Einzelnen und die Gesellschaft als Ganzes zu schaffen. Experimentelle Instrumente wie Modellvorhaben, Reallabore und Pilotprojekte, die die Beteiligung der Öffentlichkeit fördern, müssen breit etabliert werden.

Konkrete Fragen:

  • Wie können wir als demokratische Gesellschaft die notwendigen Entscheidungen für eine nachhaltige Landnutzung und lebendige Räume treffen?
  • Wie können sich die Bürger stärker für eine nachhaltige Stadtentwicklung engagieren?
  • Wie können Pilotformate wie Modellvorhaben, Reallabore und Pilotprojekte genutzt werden, um gemeinsam nachhaltige Lebensräume zu verwirklichen?
  • Welche neuen Governance-Ansätze sind erforderlich, um Ziel- und Interessenkonflikte zu lösen?
  • Wie können inklusive Prozesse zur Verwirklichung von Thriving Spaces gestaltet werden, und wie können Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel ein integraler Bestandteil davon sein?

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Video: Soziale Innovationen im Schweizer Berggebiet (Thriving Spaces: Nachhaltigkeit und Raumentwicklung)
Der Begriff «Thriving Spaces» beschreibt Orte, an denen sowohl die biologische Vielfalt, als auch die Menschen gedeihen: Sie sind widerstandsfähig, regenerationsfähig und fördern das menschliche Wohlbefinden und soziale Beziehungen. Gute Beispiele für solche nachhaltig ausgerichtete Räume sind Regionen, wo soziale Innovationen stattfinden. Als soziale Innovationen bezeichnet man einen Zusammenschluss aus verschiedensten Personen, die gemeinsam eine Vision haben und ein gemeinsames Ziel verfolgen. Gerade in peripheren Räumen gibt es viele davon. Im Video berichten die zwei Doktoranden Samuel Wirth und Pascal Tschumi aus dem Forschungsprojekt der Universität Bern zu sozialen Innovationen im Berner Oberland.
Dieses Video wurde von Studierenden des Studiengangs Multimedia Production im Modul Corporate Communications an der Berner Fachhochschule erstellt. Die Multimediaprojekte entstanden im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen dem WWF Schweiz und den drei Multimedia Production Klassen der Fachhochschulen Graubünden und Bern.

Priority theme: Thriving Spaces: Nachhaltigkeit und Raumentwicklung (Swiss German)