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«Der Schweizer Untergrund braucht eine Governance»

Carte Blanche für Olivier Lateltin, swisstopo

16.09.2022 – Gegenwärtig stellt die Schweizer Politik die Weichen bezüglich Energieversorgung neu. Das tangiert zunehmend auch den Untergrund. Es braucht deshalb eine Strategie, wie mit den verschiedenen Nutzungs- und Schutzansprüchen umgegangen wird.

Carte Blanche / Olivier Lateltin
Image: zvg

Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder und muss nicht mit der Haltung der SCNAT übereinstimmen.

Der Untergrund der Schweiz birgt grosse Potenziale. Er weist eine grosse Vielfalt geologischer Strukturen auf und beinhaltet energetische und mineralische Ressourcen, Grundwasser, freie Raumreserven für die Mobilität, Wärme und CO2-Speicherung oder die Lagerung von radioaktiven Abfällen. Er enthält auch spezifische Lebensformen und archäologisches Kulturerbe.

Der oberflächennahe Untergrund, bis zu einer Tiefe von etwa 50 Metern, wird an manchen Orten bereits heute intensiv genutzt, vor allem in städtischen Regionen. Allerdings erfolgt diese Nutzung oft unkoordiniert und nach dem Prinzip «first come, first served». Der tiefe Untergrund der Schweiz, unterhalb von etwa 500 Metern Tiefe, ist dagegen noch weitgehend unberührtes Neuland. Dank technischen Innovationen ist die Erschliessung des tiefen Untergrunds heutzutage möglich und zunehmend unverzichtbar. Für die Nutzung von Geothermie zum Beispiel, oder für die Speicherung von Kohlendioxid, sind zusätzliche Explorationen erforderlich. Die Politik spielt dabei eine wichtige Rolle: Sie kann die passenden Rahmenbedingungen setzen und somit einen weiteren Schritt in Richtung Klimaschutz gehen. So wird der Weg frei zu einer nachhaltigen Nutzung des Untergrunds, vor allem auch für künftige Generationen.

Ganzheitlicher Blick auf den Untergrund erforderlich

Im Untergrund treffen Nutzungs- und Schutzinteressen aufeinander. In manchen Fällen weisen Nutzungsinteressen Synergien auf; es sind aber auch Interessenkonflikte möglich. Synergien auszuschöpfen und frühzeitig einen Ausgleich zwischen divergierenden Interessen zu suchen, ist nicht nur aus Gründen der ökonomischen Effizienz lohnend, sondern auch, um Vertrauen in die handelnden Instanzen aufzubauen und Akzeptanz für künftige Nutzungen des Untergrunds zu schaffen. Daher ist jetzt ein ganzheitlicher, zukunftsgerichteter Blick auf den Untergrund erforderlich. In den letzten Jahren richteten parlamentarische Initiativen oftmals die politische Aufmerksamkeit auf Einzelaspekte der Nutzung des Untergrunds, wie zum Beispiel die Versorgung der Schweiz mit Rohstoffen oder geothermischer Energie.

Raumplanung im Untergrund muss langfristig ausgelegt sein

Der Untergrund bietet die Chance, verschiedene Ebenen in der Vertikalen zu nutzen. Auf diese Weise können auch bei intensiv genutztem Raum an der Erdoberfläche, zum Beispiel in Städten, viele Nutzungs- und Schutzinteressen in Einklang miteinander gebracht werden. Allerdings sind Raum, energetische und mineralische Ressourcen im Untergrund nicht frei zugänglich, sondern erfordern eine Erschliessung von der Erdoberfläche aus. Nutzungen, die in verschiedenen Tiefen erfolgen, müssen analog zur Oberfläche aufeinander abgestimmt sein, unter anderem um zu gewährleisten, dass alle unterirdischen Bauwerke stabil bleiben und allfällige künftige Aktivitäten in grösseren Tiefen nicht behindert werden. Daher ist eine integrale, dreidimensionale Raumplanung erforderlich, die sowohl den Raum über als auch unter Tage einschliesst. Raumplanung im Untergrund muss daher immer besonders langfristig zukunftsgerichtet erfolgen und als vierte Dimension auch die Zeit in der Planung miteinbeziehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass schnellen gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen lange Planungs- und Realisierungshorizonte im Untergrund gegenüberstehen.

Strategie soll Orientierung geben

Eine neue nationale Untergrundstrategie muss erarbeitet werden, sie soll Bund, Kantonen, Gemeinden und privatwirtschaftlichen Akteuren als Orientierungsrahmen und Entscheidungshilfe dienen und Wege aufzeigen, wie Herausforderungen im Untergrund angegangen werden können.

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Olivier Lateltin ist Geologe und noch bis Ende September 2022 Leiter der Landesgeologie bei swisstopo.

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