Mit der Initiative für Nachhaltigkeitsforschung treibt die SCNAT gemeinsam mit ihren Schwesterinstitutionen die Wissenschaft zur nachhaltigen Entwicklung und zur Agenda 2030 voran. Ein besonderes Augenmerk richtet sie auf die gemeinsame Bearbeitung gesellschaftlich prioritärer Fragen in übergreifenden Konsortien.mehr

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CASRI Country Report Zusammenfassung

Soziale Transformationsprozesse und warum wir in der Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung ein stärkeres Augenmerk darauf haben sollten

Im Rahmen des Horizon Europe-Projekts CASRI haben wir nationale Prioritäten, Forschungsbedarf, Finanzierungsprogramme und die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik im Zusammenhang mit Forschung und Innovation in den Bereichen Umwelt und Nachhaltigkeit untersucht. Die interviewten Fachpersonen betonten die Wichtigkeit sozialwissenschaftlicher Beiträge und experimenteller Ansätze in der Forschungsfinanzierung.

CASRI

Worum geht es im Projekt CASRI?

Welchen Themen muss sich die Wissenschaft annehmen, um die Transition hin zu einer nachhaltigen Entwicklung effektiv unterstützen zu können? Wie können Wissenschaft und Politik gemeinsam dazu beitragen? Und wie lässt sich die Beantwortung dieser komplexen Fragen finanzieren? Diese Fragen verfolgen wir im Rahmen des Horizon Europe Projekt CASRI zusammen mit dem Bundesamt für Umwelt in einem europaweiten Forschungsprojekt. Unsere Untersuchung in der Schweiz zeigte, dass die entscheidende Herausforderung nicht primär in der Notwendigkeit spezifischer technologischer Innovationen besteht, sondern vielmehr in einem besseren Verständnis darüber, wie transformative Prozesse angemessen gestaltet und implementiert werden können.

Im Rahmen des CASRI Projekts haben wir 20 Expertinnen und Experten aus Forschungsförderung, Forschungsinstitutionen, Think Tanks, Verbänden und öffentlicher Verwaltung interviewt und ihnen unsere Resultate während eines Workshops präsentiert. Die nachfolgenden Resultate fassen die zentralen Erkenntnisse unserer nationalen Untersuchung zusammen.

Forschungsbedarf: Soziale Gerechtigkeit als wichtiges Querschnittsthema

„Wir müssen uns von mechanistischen und rein technologiefokussierten Ansätzen lösen und uns stattdessen intensiv mit der Frage beschäftigen, wie gesamtgesellschaftliche Transformation gelingt: Welche Partizipationsmodelle braucht es? Welche Rolle spielen Werte, Deutungsrahmen und demokratische Prozesse?“ Josephine von Mitschke Collande, Stiftung Mercator Schweiz

Um die dringendsten Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung gezielt anzugehen, wurden von CASRI vier zentrale Themenbereiche identifiziert:

  • Resiliente, netto-null- und zirkulare Produktionssysteme,
  • Biodiversität und Klima,
  • Nachhaltige Stadtentwicklung
  • Umweltfreundliche Energietransformation

Diese Auswahl basiert auf ihrer hohen Relevanz für die globalen Nachhaltigkeitsziele, ihrer engen Verknüpfung mit internationalen Forschungs- und Innovationsstrategien sowie der Notwendigkeit, Synergien und Zielkonflikte systematisch zu analysieren. Die Erhebung zum Forschungsbedarf konzentrierte sich zum einen auf diese Bereiche, und fragte zum anderen auch nach weiteren wichtigen Themen.

Basierend auf den Interviews zeigte sich im Bereich resiliente, netto-null und zirkulare Produktionssysteme die zentrale Herausforderung, ein praxisnahes Verständnis für soziale Innovationen zur Stärkung ressourcenschonender Ökonomien zu entwickeln. Die Expertinnen und Experten betonten die Notwendigkeit, Rahmenbedingungen und Anreize zu schaffen, die eine zirkuläre Wirtschaft fördern. Dabei wurde hervorgehoben, dass wirtschaftliche Transformationen von Natur aus Gewinner und Verlierer in der Gesellschaft hervorbringen und zu sozialen Verwerfungen führen können, deshalb ist ein tiefgreifendes Verständnis dieser Dynamik einschliesslich ihrer Wechselwirkungen essentiell, um Veränderungen zu antizipieren und auf gerechte Weise zu bewältigen. Ein besonderer Fokus liegt auf dem vollständigen Verständnis der Rollen und Auswirkungen aller Akteure von der Finanzierung, über die Produktion und die Logistik bis hin zu den Verbrauchern, da dieses Wissen für die Gestaltung von gerechten, nachhaltigen und über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg wirksamen Kreislaufwirtschaftsmodellen von entscheidender Bedeutung ist.

Im Bereich Biodiversität und Klima wurde die sozial gerechte Regeneration von Ökosystemen als zentrale Priorität identifiziert. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die potenziellen negativen Auswirkungen der Netto-Null-Politik, wie etwa die Landschaftsdegradation durch Energieproduktion. Zudem wurde die Notwendigkeit betont, die komplexen Zielkonflikte und Synergien bei Landnutzungsentscheidungen besser zu verstehen - insbesondere im Kontext von Nahrungsmittel- und Energieproduktion - wobei sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte der Landnutzung sowie der umfassendere Wert der Biodiversität für Gesundheit, Pandemieprävention, Ernährungssicherheit und kulturelle Aspekte berücksichtigt werden müssen, um eine optimale Balance zwischen Klimaschutz, Katastrophenvorsorge und Resilienzaufbau zu erreichen.

Im Bereich der nachhaltigen Urbanisierung soll in der Forschung der Fokus auf räumliche Planung, Energiemanagement, Wasserwirtschaft und der Umgang mit Hitzestress gelegt werden. Die befragten Experten und Expertinnen hoben hervor, dass soziale Herausforderungen wie Segregation und generationengerechte Stadtplanung verstärkt berücksichtigt werden sollten, wobei auch dem Stadt-Land-Disparitäten mit seinen komplexen Zusammenhängen in Bezug auf Mobilität, Ressourcenverteilung und wirtschaftliche Chancen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden müsse.

Auch zum Thema umweltfreundliche Energietransformation wurde in den Interviews unterstrichen, dass insbesondere in Bezug auf die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen verschiedener Transformationspfade Forschungslücken bestehen. Besonders betont wurde die Notwendigkeit, Mechanismen für die Stabilität erneuerbarer Energiesysteme besser zu verstehen. Darüber hinaus betonten die Expertinnen und Experten wichtige Gerechtigkeitsfragen betreffend der räumlichen Lastenverteilung, der unterschiedlichen Beiträge zum Energieverbrauch, der ökonomischen Nutzenverteilung sowie der Möglichkeiten einer gerechten Gestaltung des Transformationsprozesses.

Über diese Themen hinaus wurden die Forschung zu Auswirkungen geopolitischer Konflikte auf den Umbau hin zu nachhaltigen Produktionssystemen, und zur Harmonisierung von Gesundheits- und Umweltpolitik und zum sozialen Zusammenhalt in Zeiten des Wandels hervorgehoben. Wichtig sei, Zusammenhänge zwischen Nachhaltigkeitszielen differenziert zu analysieren um wesentliche Synergien und Zielkonflikte (Trade-offs) identifizieren zu können. So etwa wenn Handelsabkommen im Widerspruch zu Umweltzielen stehen.

Eine zentrale Empfehlung war entsprechend, traditionelles sektorales Denken in der Umweltpolitik und -Gouvernanz durch integrierte Ansätze zu ersetzen. Auch sollen sozialwissenschaftliche Perspektiven generell von Beginn an ein integrierter Bestandteil von Forschungsvorhaben bilden, da die Herausforderungen der Nachhaltigkeit nicht allein durch technologische Lösungen bewältigt werden können. Vielmehr sind sie tief mit sozialen Realitäten, kontextspezifischen Dynamiken und institutionellen Rahmenbedingungen verwoben.

Finanzierungsinstrumente sollen Zusammenarbeit in Testsettings fördern

"Es fehlt an einem grossen Fördertopf der für eine praxisnahe Nachhaltigkeitsforschung essenziell sind. Wir brauchen eine Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis. Statt vieler Fonds, die einzelne Elemente dieser Brücke abdecken, brauchen wir einen Fonds, der Forscherinnen und Praktiker gleichermassen unterstützt und ihnen dadurch ermöglicht, gemeinsam zur nachhaltigen Entwicklung beizutragen" Christian Pohl, ETH Zürich

Der zweite Teil unserer Untersuchung befasste sich mit der Frage, wie Forschung und Innovation optimal gefördert werden kann, um Prozesse der Nachhaltigkeitstransformation wirkungsvoll zu unterstützen. Es wurde deutlich, dass Förderinstrumente unkonventionelle Formen wissenschaftlicher Kollaborationen und Reallaborforschung stärker unterstützen müssen.

In Gesprächen mit unseren Experten wurden verschiedene beispielhafte Fördermodelle analysiert. Besonders relevant wurde die bessere Abstimmung verschiedener Forschungsförderprogramme untereinander identifiziert. Die Befragten betonten auch die Bedeutung der Anfangsphase transdisziplinärer Projekte, in der sich Partner finden und abstimmen müssen. Anschubfinanzierungen wurde als essenzielles Instrument hervorgehoben, um Partnerinnen und Partnern aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft die nötige Zeit für Projektentwicklung und Rollenklärung zu ermöglichen.

Besonders wirkungsvoll sind laut den befragten Expertinnen und Experten Förderprogramme, die langfristig angelegt sind und den Aufbau zweckorientierter Netzwerke ermöglichen. Dies gewährleistet die kontinuierliche Weiterentwicklung und Implementierung der Forschungsergebnisse. Für Forschende im Innovationsbereich sind Kooperationen mit industriellen Partnern von grosser Bedeutung. Hier fehlt es jedoch häufig an finanziellen Mitteln, um die Überbrückung zwischen theoretischer Arbeit und der Testphase zu gewährleisten. Die Interviewten wiesen darauf hin, dass Projekte oft zu fachspezifisch konzipiert werden und zentrale Aspekte wie soziale Fragen aufgrund von Zeit- und Finanzierungsmangel unberücksichtigt bleiben. Dies erschwert die erfolgreiche Umsetzung von Innovationen im Kontext nachhaltiger Entwicklung.

Den Dialog zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft von Anfang an mitdenken

"Die Verwaltung spielt eine zentrale Rolle für die Umsetzung der Nachhaltigkeit. In der Nachhaltigkeitsforschung ist es deshalb zentral, auch die Verwaltungsakteuren in das Science Policy Interface einzubinden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Verwaltung anders funktioniert als Politik. Die Nachhaltigkeitsforschung muss diese systemischen Unterschiede aktiv verstehen und berücksichtigen." Marius Christen, Leiter Geschäftsstelle Netzwerk der kantonalen Nachhaltigkeitsfachstellen

Der dritte Schwerpunkt unserer CASRI-Untersuchung widmete sich dem Austausch zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis. Die Interviews verdeutlichten, dass der Dialog zwischen Wissenschaft und Politik nicht nur am Ende eines Forschungsprojekts oder ausschliesslich durch wissenschaftliche Publikationen oder Whitepapers erfolgen kann.

Die Befragten empfahlen, den Dialog zwischen Wissensproduzierenden und Wissensnutzenden möglichst zu einem integralen Bestandteil des Forschungsprozesses zu machen. Die frühzeitige Einbindung aller relevanten Beteiligten ermöglicht einen konstruktiven Dialog und fördert die Zusammenarbeit über Expertisefelder hinweg, wodurch die Grenzen zwischen Praxis, Wissenschaft und Politik durchlässiger werden.

Es wurden verschiedene zentrale Akteurinnen und Beteiligte für die Förderung von Wissenschafts-Politik-Praxis-Interaktionen identifiziert. Dazu gehören Forschungsinstitutionen und Forschungsförderer, Bundesämter, Parlamentarische Kommissionen, Verbände oder spezialisierte Science-Policy-Interface Organisationen. Gerade Letztere übernehmen wichtige Funktionen als Wissensvermittler und unterstützen die strategische Wissenschaftskommunikation. Zusätzlich existieren an den Hochschulen und Akademien verschiedene Initiativen zur aktiven Förderung der Science-Policy-Practice-Interaktion, wobei der Fokus auf der Gestaltung wissensbasierter Diskurse liegt.

  • CASRI Kick-Off, Dessau, UBA
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  • CASR Kick-Off Dessau UBA
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